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"Unser Kind kann absolut nicht stillsitzen, redet immer dazwischen und scheint nur selten wirklich zuzuhören. Es will ständig seinen Kopf durchsetzen, tanzt beim Spiel oft aus der Reihe und geht mit anderen Kindern öfter rücksichtslos oder sogar recht brutal um." So oder so ähnlich klingen oft die Erfahrungsberichte der Eltern eines Kindes mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung.


Doch worum handelt es sich bei einem ADHS genau? Vereinfacht gesagt, um eine verminderte Fähigkeit zur Selbststeuerung und Selbstkontrolle. Diese macht sich in erster Linie durch
Beeinträchtigungen der Konzentration und der Aufmerksamkeit,
impulsives und unüberlegtes Handeln sowie
körperliche Unruhe und einen ausgeprägten Bewegungsdrang bemerkbar.

Wegen dieser zuletzt genannten Symptome sprach man früher vom "Hyperkinetischen Syndrom". Auch heute wird dieser Begriff im deutschen Sprachraum noch ab und an benutzt.


Wie häufig ist ADHS?

Das ADHS ist eines der meist verbreiteten psychiatrischen Krankheitsbilder im Kindes- und Jugendalter, wobei die Zahlen zur Häufigkeit stark schwanken - nicht zuletzt wegen der international unterschiedlichen Diagnosekriterien. Experten gehen davon aus, dass im deutschsprachigen Raum vier bis acht Prozent aller Schulkinder unter einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung leiden. Jungen sind etwa drei- bis fünfmal so oft betroffen wie Mädchen.

Obwohl die Erkrankung sehr wahrscheinlich bereits im frühen Kindesalter beginnt, wird sie oft erst in der Schule erkannt. Denn dort müssen die betroffenen Kinder sich in ein Regelwerk äusserer Strukturen einfinden, was die Verhaltensauffälligkeiten deutlicher zu Tage bringt. Wie ausgeprägt die Symptome sind und welche Probleme im Vordergrund stehen, kann allerdings von Fall zu Fall deutlich variieren. Das ist sicherlich ein Grund, warum ADHS manchmal gar nicht erkannt oder erst sehr spät diagnostiziert wird.

Auch Erwachsene können unter einem ADHS leiden. Allerdings macht sich die Erkrankung dann meist etwas anders bemerkbar als bei Kindern und Jugendlichen. So macht die körperliche Hyperaktivität eher einer starken inneren Unruhe Platz. Ausserdem zeigen viele erwachsene Betroffene neben Aufmerksamkeitsproblemen verschiedene andere psychische Störungen wie Depressionen, Angststörungen, soziale Phobien oder Essstörungen.


Welche Ursachen hat ADHS?

Trotz intensiver Forschungsbemühungen sind die Ursachen der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung nach wie vor nicht abschliessend geklärt. Nach dem derzeitigen Kenntnisstand handelt es sich um ein multifaktorielles Geschehen. Das heisst, bei der Entstehung und Aufrechterhaltung von ADHS spielen einerseits verschiedene neurobiologische Ursachen, andererseits aber auch psychosoziale Einflüsse wie ungünstige Bedingungen in der Familie oder der Schule eine Rolle. Da nicht selten auch andere Familienmitglieder ähnliche Auffälligkeiten zeigen, scheint es zudem eine gewisse erbliche Veranlagung zu geben. Wie dieses komplexe Zusammenwirken von unterschiedlichen Faktoren genau funktioniert, ist noch nicht bekannt.

Nach dem momentan gültigen Erklärungsmodell liegt der Erkrankung eine fehlerhafte Informationsverarbeitung im Gehirn zu Grunde - und zwar zwischen den Hirnarealen, die für die Steuerung von Konzentration, Aufmerksamkeit, Wahrnehmung und Impulskontrolle verantwortlich sind. Diese Funktionsstörung wiederum ist durch Veränderungen des Botenstoffhaushalts in diesen Hirnbereichen bedingt. So geht man untere anderem von einem gewissen Mangel an Dopamin aus. Durch die Unterversorgung mit diesem wichtigen Botenstoff, werden Reize nur unzureichend gefiltert. In Folge dessen wird das Aufkommen neuer Gedanken und Verhaltensimpulse nicht gehemmt. Was wiederum dazu führt, dass begonnene Gedankengänge nicht zu Ende gedacht werden können.

Letztlich unterliegen Menschen mit ADHS wegen der Stoffwechsel- und Funktionsstörungen in ihrem Gehirn einer permanenten Reizüberflutung. Deshalb sind sie nur eingeschränkt in der Lage, ihre Aufmerksamkeit auf eine Sache zu fokussieren. Gleichzeitig können die Betroffenen wichtige Wahrnehmungen kaum von unwichtigen unterscheiden.

Dass "schlechte Erziehung" oder kindliche Traumata Ursache der Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung sind, gilt inzwischen als ausgeschlossen. Allerdings können psychosoziale Faktoren wie familiäre Instabilität, häufige Kritik und Bestrafungen oder ein unstrukturierter Tagesablauf betroffene Kinder zusätzlich belasten, was sich dann wiederum negativ auf den Schweregrad und den Verlauf von ADHS auswirkt.


Wie sieht das Krankheitsbild ADHS aus, und wie wird es diagnostiziert?

Wie sich ADHS äussert, kann von Fall zu Fall sehr variieren. So müssen beispielsweise nicht alle Hauptsymptome gleichzeitig bestehen. Und auch die Ausprägung der Verhaltensauffälligkeiten ist bei den betroffenen Kindern oft sehr unterschiedlich. Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, die Krankheitsmerkmale von normalen altergemäss typischen Verhaltensweisen abzugrenzen. Deshalb - und weil keine apparativen Methoden wie Laboruntersuchungen existieren, die ein ADHS zweifelsfrei beweisen - erfolgt die Diagnosestellung nach festgelegten Kriterien und Klassifikationssystemen. Im Mittelpunkt stehen dabei die folgenden drei Hauptsymptome:

Aufmerksamkeitsstörungen

Kinder mit ADHS fallen oft dadurch auf, dass sie sich leicht ablenken lassen und sich nur schwer länger auf eine Aufgabe oder ein Spiel konzentrieren können. Sie können Aktivitäten oder vorgegeben Aufgaben wie die Schularbeiten nur schlecht organisieren und bringen sie auch nicht zu Ende. Ausserdem machen sie dabei häufig Flüchtigkeitsfehler und sind sehr nachlässig bei Details. Stifte oder Sportsachen gehen häufig verloren.

Sie scheinen nur schlecht zuzuhören, lassen sich durch äussere Reize leicht ablenken und sind bei Alltagstätigkeiten oft vergesslich. Aufgaben, die eine gewisse Konzentration erfordern - etwa Basteln oder Malen - mögen viele ADHS-Kinder nicht, weil Ihnen die Geduld fehlt und sie diese Aktivitäten ans anstrengend empfinden.

Impulsivität und unüberlegtes Handeln

Da die Impulskontrolle bei ADHS eingeschränkt ist, handeln die betroffenen Kinder oft ohne nachzudenken. Sie platzen mit einer Antwort heraus, bevor die Frage überhaupt zu Ende gestellt wurde, reden oft unüberlegt und wechseln von Thema zu Thema. Beim Spielen oder im Unterricht fällt es ihnen schwer zu warten, bis sie an der Reihe sind.

Nicht nur in der Schule und im Kindergarten, sondern auch in der Familie stören sie oft die geregelten Abläufe und können sich nur schwer in die Gemeinschaft einordnen. Was auch damit zusammenhängt, dass es ihnen Probleme bereitet, Mimik und Gestik ihres Gegenübers einzuschätzen. Deshalb fühlen sich ADHS-Kinder schnell bedroht und provoziert. Dieses impulsive Verhalten wird häufig mit Aggressivität gleichgesetzt.

Heftige Stimmungsschwankungen, eine allgemeine starke Reizbarkeit, Distanzlosigkeit, Dazwischenreden und Wutausbrüche über geringfügige Ursachen sind ebenfalls mögliche Zeichen einer gestörten Impulskontrolle.

Hyperaktivität

Haben die Kinder einen sehr ausgeprägten Bewegungsdrang und sind motorisch unruhig, spricht man von einer Hyperaktivität. Diese kann ein Krankheitszeichen sein, muss es jedoch nicht. Bei einer Hyperaktivität sind die Kids praktisch permanent in Aktion - auch in unpassenden Situationen wie dem Unterricht. Sie fuchteln mit den Händen herum, rutschen auf dem Stuhl hin und her oder stehen einfach auf und gehen los. Auffällig ist auch, dass sie beim Spielen extrem viel Lärm machen, sehr experimentierfreudig sind und sich immer wieder in "neue Abenteuer" stürzen wollen.

Damit überhaupt von einem ADHS ausgegangen werden kann, müssen die Verhaltensauffälligkeiten folgende Bedingungen erfüllen:
Sie müssen deutlich ausgeprägt sein,
über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten bestehen,
in mindestens zwei Lebensbereichen zu Tage treten (Schule, Kindergarten, Familie etc.),
schon im Vorschulalter begonnen haben,
von der altersgemässen Entwicklung abweichen.

Alle oben beschriebenen Verhaltensweisen können alters- und entwicklungsabhängig auch bei gesunden Kindern auftreten - wenn auch meist in abgeschwächter Form. Das macht die Diagnose einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung so schwierig, dass sie in die Hände eines auf diese Erkrankung spezialisierten Kinderarztes beziehungsweise Kinderpsychiaters gehört.

Besteht der Verdacht auf ADHS, werden zunächst die Eltern und andere Personen aus dem Umfeld ausgiebig zur Lebenssituation und Krankheitsgeschichte befragt. An eine gründliche körperliche und neurologische Untersuchung des Kindes schliessen sich dann psychologische Tests an, die Konzentrationsfähigkeit, Intelligenz, schulische Fähigkeiten sowie die emotionale und soziale Entwicklung überprüfen.

Meist bekommen die Eltern Beobachtungsbögen, auf denen sie dokumentieren, wann und in welcher Form die ADHS-Symptome im Alltag auftreten. Apparative Untersuchungen wie die Messung der Hirnströme oder Labortests des Blutes dienen dazu, andere Erkrankungen, die zu ähnlichen Verhaltensauffälligkeiten führen könnten, auszuschliessen.

Neben den genannten Symptomen geht die Krankheit oft mit weiteren Beeinträchtigungen einher. Dazu gehören zum Beispiel Störungen im Sozialverhalten, Lernschwierigkeiten, Lese- oder Rechtschreibschwäche, depressive Verstimmung, Angststörungen und ein geringes Selbstwertgefühl. Diese Probleme zu identifizieren, um sie dann gegebenenfalls gesondert zu behandeln, gehört ebenfalls zur Diagnose des ADHS.


Wie wird ADHS behandelt?

Ursächlich heilbar ist ein ADHS zwar nicht, doch die charakteristischen Verhaltensauffälligkeiten lassen sich oft gut behandeln. Besonders dann, wenn die Diagnose frühzeitig erfolgt.

Am erfolgversprechendsten ist ein sogenanntes multimodales Therapiekonzept. Dabei werden psychosoziale, pädagogische, psychotherapeutische und medikamentöse Therapiemassnahmen miteinander kombiniert - immer in Abhängigkeit vom Erscheinungsbild, dem Schweregrad der Erkrankung und der Art der Begleitstörungen.

Eine ADHS-Therapie muss ganz individuell an die Kinder und Jugendlichen angepasst werden. Wichtig ist dabei, das nähere soziale Umfeld - also nicht nur die Familie sondern auch Erzieher/Lehrer, Verwandte und Freunde - mit einzubeziehen. Denn diese Menschen können den Betroffenen entscheidend dabei helfen, ihre Leben so gut wie möglich zu meistern. Um dieses Ziel zu erreichen, werden bei der multimodalen Behandlung die folgenden Therapieansätze und -massnahmen je nach Bedarf vereint.

Elterntraining

In speziellen Schulungen bekommen die Eltern verhaltenstherapeutische Techniken vermittelt, die sie dann im familiären Alltag einsetzen können. Vor allem lernen sie, dem Kind in Problemsituationen ein entsprechendes Feedback zu geben. Positive Verhaltensweisen sollten durch ein Lob oder eine Belohnung gezielt verstärkt werden - etwa wenn das Kind sich konzentriert mit seinen Hausaufgaben beschäftigt hat.

Umgekehrt müssen auffällige Verhaltensweisen auch negative Konsequenzen haben. Doch diese sollten angemessen ausfallen. Wut, Ärger oder erhöhter Druck helfen keinem der Beteiligten weiter. Deshalb lernen Väter und Mütter im Elterntraining auch, ihre negativen Reaktionen auf das Kind zu kontrollieren.

Ratsam ist ausserdem, gemeinsam mit dem Kind feste Regeln zu etablieren und auch festzulegen, welche Folgen es hat, wenn diese nicht eingehalten werden. Diese Konsequenzen aus diesen möglichst einfachen und nachvollziehbaren Absprachen müssen dann aber wirklich erfolgen - im Positiven wie im Negativen. Verlässliche und berechenbare Abläufe im Alltag helfen ADHS-Kindern oft dabei, mit ihrer krankheitsbedingten Reizüberflutung besser klar zu kommen.

Interventionen im Kindergarten und in der Schule

Um die Probleme eines Patienten mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung verstehen und berücksichtigen zu können, müssen Lehrer und Erzieher ausführlich über die Erkrankung informiert werden. Sofern sie dann bereit sind, ein ADHS-Kind zu unterstützen, bekommen sie ähnlich wie beim Elterntraining verhaltenstherapeutische Techniken vermittelt.

Bei Schulkindern ist es wichtig, eine Klasse oder Schule zu finden, die der Leistungsfähigkeit der Betroffenen angemessen ist. Bei sorgfältiger Auswahl der Schule und guter Zusammenarbeit mit den Lehrkräften müssen nur die allerwenigsten Kinder und Jugendlichen mit ADHS eine Sondereinrichtung besuchen.

Verhaltenstherapie des Betroffenen

Dies ist sicherlich eine der wichtigsten Säulen der Behandlung. Mit speziellen verhaltenstherapeutischen Konzepten werden Dinge wie Konzentrationsvermögen, Lernverhalten und soziale Kompetenz gezielt gefördert. Die Kinder bekommen dort Wege vermittelt, ihre Aufmerksamkeit, ihre Impulsivität und ihre Hyperaktivität besser zu kontrollieren und Aufgaben strukturierter zu lösen. Die Verhaltenstherapie kann sowohl einzeln, als auch in der Gruppe durchgeführt werden.

Medikamente

Das Mittel der ersten Wahl in der medikamentösen Therapie heisst Methylphenidat. Obwohl es sich dabei eigentlich um einen anregenden Wirkstoff handelt - ein so genanntes Psychostimulans - bessert eine Behandlung mit Methylphenidat die Symptome des ADHS oft deutlich. Das Medikament reguliert das Ungleichgewicht der Botenstoffe im Gehirn der Betroffenen, das den Verhaltensauffälligkeiten zu Grunde liegt. Studien zeigen, dass die Substanz bei 70-80 Prozent der Kinder mit ADHS die Unaufmerksamkeit und die Hyperaktivität mindert und das Konzentrationsvermögen steigert.

Um die Behandlung des ADHS mit Methylphenidat gibt es zahlreiche Diskussionen, nicht zuletzt weil viele Eltern befürchten, ihr Kind würde auf diese Weise nur "ruhig gestellt". Dies ist so sicherlich nicht richtig. Nichtsdestotrotz sollte die Entscheidung über den Einsatz des Medikaments zwischen behandelndem Arzt, Eltern und, sofern vom Alter her möglich, auch mit dem betroffenen Kind beziehungsweise Jugendlichen sorgfältig abgewogen werden.

Entscheiden sich die Beteiligten dafür, sind regelmässige Kontrolluntersuchungen unabdingbar, um die Wirksamkeit zu überprüfen und die Dosierung anzupassen. Auch eventuell auftretende Nebenwirkungen wie Appetitminderung, Schlafprobleme, Schwindel, sowie Kopf- und Bauchschmerzen werden bei diesen ärztlichen Kontrolluntersuchungen erfasst.


Wie ist die Prognose bei ADHS?

Eine möglichst hohe Lebensqualität mit normalen sozialen Kontakten und einer qualifizierten Ausbildung - dieses Therapieziel lässt sich durch eine optimale Behandlung bei vielen Kindern und Jugendlichen mit ADHS erreichen. Optimal heisst einerseits, dass die Erkrankung möglichst früh erkannt und behandelt wird. Andererseits, dass die Therapie immer wieder neu an die Entwicklung und das Verhalten des Patienten angepasst wird. Manche müssen ein Leben lang behandelt werden, bei anderen genügen wenige Jahre.

Gerade die Pubertät mit ihren hormonellen Veränderungen ist für viele Jugendliche mit ADHS eine noch schwierigere Zeit als für gesunde Gleichaltrige. Ist sie aber erst einmal überwunden, kommt es sehr oft zu einer Besserung der Symptome. Nichtsdestotrotz haben viele Betroffene aber auch noch im Erwachsenenalter Probleme, sich zu konzentrieren. Ein Umfeld, das die Besonderheiten des Krankheitsbildes kennt und entsprechend berücksichtigt, ist für ADHS oft die grösste Hilfe - egal in welchem Alter.