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Michelangelo malte mit links, und auch Isaac Newton zog seine linke Hand der rechten vor. Die Liste berühmter Linkshänder ist lang. Trotzdem galten sie lange als Exoten, die zwar musisch begabt und außerordentlich kreativ sein sollen, aber auch ungeschickt und tollpatschig. Alles nur Vorurteile, sagen die Wissenschaftler. Fest steht, dass die sogenannte Händigkeit von der Natur vorgegeben ist. Was dann aber daraus wird, hängt ganz entscheidend von der Sozialisation ab.



Platon und die Linkshänder
Archäologische Funde wie Faustkeile und Speere beweisen es: In der Steinzeit gab es weitaus mehr Linkshänder als heute. Forscher gehen davon aus, dass mindestens die Hälfte aller Menschen die wichtigen Dinge mit der linken Hand erledigte. Schon der griechische Philosoph Platon (427-347 vor Christus) beschäftigte sich mit dem Phänomen der Händigkeit. Seine These: Genau wie es bei den Füßen und den unteren Gliedmaßen keinen Unterschied in der Beweglichkeit gebe, sei auch der Mensch von Natur aus in der Lage, beide Hände gleichermaßen zu benutzen.

Dagegen spricht, dass auch die Tiere eine Seite bevorzugen. So haben zum Beispiel die Winkerkrabben, die an tropischen Küsten leben, immer eine große und eine kleinere Schere. Auch frei lebende Schimpansen ziehen nach den Studien amerikanischer Forscher eine Seite vor. Die Wissenschaftler beobachteten die Affen beim Termiten-Fischen und stellten fest, dass die meisten dafür die linke Hand benutzten.

Eine Spezialisierung erscheint auch deswegen sinnvoll, weil es deutlich effektiver ist, die Kraft auf einer Seite zu bündeln. Im Tierreich hält sich die Vorliebe für links oder rechts allerdings die Waage. Bei den Menschen ist das anders. Schätzungen zufolge sind zwischen 10 und 25 Prozent der Weltbevölkerung Linkshänder.

Von rechtschaffenen Bürgern, die mit dem linken Fuß aufstehen
Noch immer kämpfen viele Linkshänder mit Vorurteilen. Die spiegeln sich auch in der Sprache wieder: Noch heute gilt, wer zwei linke Hände hat, als ungeschickt. Und auch die Redewendung "Das mache ich doch mit links" wirft kein gutes Licht auf diese Hand. Mit anderen Worten, wenn es schwierig wird, sollte man lieber die rechte nehmen. Wer mit dem linken Fuß aufsteht, ist schlecht gelaunt. Rechtschaffene Bürger tragen ihr Herz dagegen auf dem rechten Fleck.

Schon in der Antike kam die linke Seite nicht gut davon. Von links kamen die schlechten Prophezeiungen und auch das Reich der Toten lag auf dieser Seite. So lässt sich diese Weltsicht in einigen Kulturen auch noch am Ursprung der beiden Worte erkennen. Der lateinische Begriff für rechts heißt "dexter", was soviel bedeutet wie Geschicklichkeit. Das französische Wort "dexterité" und der englische Ausdruck "dexterity" lassen sich ebenfalls darauf zurückführen. Das Wort für links hieß bei den Römern "sinistrum" und kann auch mit "bedrohlich" übersetzt werden. Daraus abgeleitet wurden das französische Wort "sinistre" und das spanische "siniestro".

Rätsel noch nicht gelöst
Doch woher kommt es, dass es Menschen gibt, die statt der rechten lieber die linke Hand nehmen? Auch wenn die endgültige Ursache noch unerforscht ist, so kommt in jedem Fall den Genen eine besondere Bedeutung zu. Die Wahrscheinlichkeit, mit der zwei Rechtshänder ein linkshändiges Kind bekommen, liegt nämlich bei nur zwei Prozent. Ist dagegen ein Elternteil linkshändig, so steigt sie auf 17 Prozent. Bei zwei Linkshändern hingegen stehen die Chancen fast 50 zu 50, dass der Nachwuchs ebenfalls linkshändig zur Welt kommt.

Die Rolle des Gehirns
Neben den Erbanlagen spielen auch die beiden Gehirnhälften eine wichtige Rolle bei der Händigkeit. Für unterschiedliche Fertigkeiten wie zum Beispiel Sprache, Motorik oder räumliches Denken sind im Gehirn verschiedene Bereiche verantwortlich. Dabei werden in der Regel die Bewegungen und Tätigkeiten, die mit der linken Körperhälfte ausgeführt werden, von der rechten Hirnhälfte aus gesteuert und umgekehrt.

Bei fast allen Rechtshändern liegt das Sprachzentrum im linken Teil des Gehirns. Auch bei zwei Dritteln der Linkshänder liegt dieses Zentrum in der linken Seite. Das übrige Drittel teilt sich in zwei Hälften: Während die einen ihr Sprachzentrum auf der rechten Seite haben, wird bei den anderen diese Aufgabe von beiden Hirnhälften übernommen.

Daraus resultieren zwei Dinge: Zum einen ist Linkshändigkeit nicht nur eine einfache Umkehrung von Rechtshändigkeit, zum anderen kann sich das Sprachzentrum auch unabhängig von der Händigkeit entwickeln. Das ist allerdings eher die Ausnahme als die Regel.

Mittlerweile hat sich die These durchgesetzt, dass Sprache und Händigkeit doch zusammen auf einer Seite im Gehirn angesiedelt sind. Viele Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Anordnung der Areale im Gehirn auch von der Evolution beeinflusst worden ist. Sie meinen, dass die Gestik der Ursprung von Sprache ist. Aufgrund der engen Verbindung dieser beiden Bereiche gehen die Forscher deshalb davon aus, dass sich die Zentren für Sprache und Händigkeit auf ein und derselben Seite des Gehirns befinden, denn so sind die Wege und damit auch die Reaktionszeiten kürzer.

Die Zuständigkeiten in den Hemisphären könnten dann auch der Grund dafür sein, dass umgeschulte Linkshänder immer wieder von Sprach- und Konzentrationsstörungen berichten, einige leiden auch unter motorischen Defiziten. Erklärt wird das unter anderem mit einer Fehlbelastung der verantwortlichen Regionen bei einer Umschulung. Diese Störungen treten übrigens auch dann auf, wenn von der rechten auf die linke Seite umgeschult wird.

Welche Rolle spielen die Moleküle?
Das alles erklärt aber immer noch nicht, warum die Zentren für Sprache und Händigkeit bei dem einen auf der linken und bei dem anderen auf der rechten Hirnhälfte liegen. Eine mittlerweile sehr anerkannte Erklärung für dieses Phänomen ist die von Marion Annett. Die englische Biologin geht davon aus, dass ein Molekül für die Ausbildung der linken Gehirnhälfte verantwortlich ist. Ist diese Seite stärker entwickelt, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die rechte Hand geschickter ist als die linke. Fehlt dieser Faktor jedoch, so die These der Wissenschaftlerin, gibt es keine dominante Hirnhälfte. Deshalb verteilen sich Sprache und Händigkeit zufällig und unabhängig voneinander auf die beiden Gehirnhälften. Dafür spricht, dass drei Viertel aller eineiigen Zwillinge entweder beide links- oder beide rechtshändig sind. Aber auch hier gibt es Ausnahmen, denn bei jedem vierten Paar ist ein Zwilling Rechts- und der andere Linkshänder. Also scheinen die Gene zwar eine Rolle zu spielen, aber eben nicht die einzige.

Neu ist ein Forschungsansatz, der davon ausgeht, dass die Linkshändigkeit Teil einer weiteren evolutionären Stufe ist. Dann wäre die Präferenz der linken Hand ein Test dafür, wie die beiden Gehirnhälften in Zukunft miteinander agieren könnten – und die Linkshänder wären diejenigen, die das schon heute praktizieren. Wenn sich dieses Modell bewähren sollte, wären die Linkshänder vielleicht sogar irgendwann in der Überzahl.

Bis dahin allerdings müssen sie sich weiter in einer Rechtshänderwelt einrichten. Das fällt vielen mittlerweile nicht mehr ganz so schwer wie früher. Denn auf die Menschen, die lieber alles mit links machen, hat sich inzwischen eine ganze Industrie spezialisiert. Vom Korkenzieher bis zum Dosenöffner, von der Computertastatur bis zum Bumerang: Es gibt kaum einen Alltagsgegenstand, der nicht auch auf links gedreht ist. Und auch die Sitte, dass sich die Männer in Japan scheiden lassen durften, wenn sie entdeckten, dass ihre Ehefrau Linkshänderin ist, gehört lange der Vergangenheit an.

Quelle: Eskin // PlanetWissen
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