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Er sieht an seiner Abteilung die schwersten Fälle und bezeichnet die Zunahme von Rückenproblemen bei Kindern und Jugendlichen als „erschreckend“. Univ.-Prof. Dr. Martin Friedrich leitet die Abteilung für Orthopädische Schmerztherapie im Orthopädischen Spital Speising in Wien.

Wie geht es den Wirbelsäulen der Österreicher?
Martin Friedrich: Wir haben 500 Österreicher befragt: 36,4 Prozent verspürten innerhalb der vergangenen drei Wochen Schmerzen im Bereich des Bewegungssystems. Österreichweit sind rund 2,5 Millionen Menschen akut davon betroffen. Probleme mit dem Bewegungsapparat sind die häufigste Ursache für Krankenstände. Alarmierend ist der Anstieg der Beschwerden bei Jugendlichen: Laut einer dänischen Studie hatten 50 Prozent der 18-jährigen Mädchen und 19-jährigen Burschen in den zwei Wochen vor der Umfrage Kreuzschmerzen. Die Ursache dürfte unser zunehmend sitzender Lebensstil sein. Eine klare körperliche Ursache – etwa ein Bandscheibenvorfall – lässt sich meist nicht nachweisen.

Ist nicht generell bei Rückenschmerzen meist keine eindeutige organische Ursache erkennbar – auch nicht im Röntgen- oder MRT-Bild?
Ja, deshalb hat man bisher 80 bis 90 Prozent der Rückenschmerzen als „unspezifisch“ bezeichnet. Doch diese Zahl weicht sich auf: Ich führe mittlerweile vor allem bei Patienten ab 50 rund ein Drittel der Kreuzschmerzen auf die kleinen Wirbel- oder Facettengelenke zwischen den Wirbeln zurück. Während die Bandscheiben die vordere Belastung der Wirbelsäule abfedern, tragen die Wirbelgelenke einen großen Teil der Last auf ihrer Rückseite. Bisher wurden sie als Schmerzursache total unterschätzt. Aber bei ihnen kann es zum Beispiel genauso zur Arthrose kommen wie beim Knie oder der Hüfte.

Wie gelingt der Nachweis?
Unterstützt durch ein strahlungsarmes Röntgen spritze ich ein lokal wirksames Betäubungsmittel exakt in den Bereich der von uns als Schmerzauslöser vermuteten Wirbelgelenke. Tritt daraufhin eine Besserung ein, ist das für uns schon ein wesentlicher Hinweis, dass diese Strukturen an der Schmerzentstehung beteiligt sind. Anschließend kann ich bei der Radiofrequenztherapie eine Sonde zu den Nerven vorführen, die für die Schmerzversorgung des Gelenkes verantwortlich sind. Sie leitet Wärme an die Nerven, dadurch werden sie blockiert, die Schmerzursache ist ausgeschaltet.

Löst nicht auch schwache Muskulatur Schmerzen aus?
Ja, durch das Schmerzvermeidungsverhalten: Mir tut es im Kreuz weh und ich vermeide mehr und mehr bestimmte Bewegungen, bis ich ganz passiv werde. Dadurch wird Muskelmasse abgebaut. Das löst einen Teufelskreis aus – immer mehr Schmerzen, immer weniger Bewegung. Bettruhe und Schonung sind deshalb ganz schlecht. Überdies legen sich viele Patienten am liebsten auf den Massagetisch und denken sich: „Die Therapeuten sollen mich wieder herrichten.“ Aber ohne Patienten-Mitarbeit ist die Chance auf anhaltende Schmerzlinderung sehr gering.

Welche Rolle spielt bei Rückenschmerzen die Psyche?
Bisher wurde die Seele als schmerzauslösender Faktor unterschätzt. Aber der psychologische Zustand – die Situation in der Familie oder am Arbeitsplatz etwa – steht bei chronischen Rückenschmerzen auf gleicher, wenn nicht sogar auf einer höheren Stufe als körperliche Faktoren. An meiner Abteilung arbeiten deshalb bereits drei Psychologinnen. Mit der Psyche stehen auch großflächige Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule, aber auch im ganzen Körper, begleitet von Müdigkeit und Erschöpfung, in Zusammenhang: Die Fibromyalgie, von der vor allem Frauen immer häufiger betroffen sind. Nahezu alle Patienten haben einen Vitamin-D-Mangel, die Gabe von Vitamin D kann die Schmerzen oft lindern. Dies wollen wir jetzt in einer großen Studie beweisen für die wir noch Teilnehmer bis 55 mit Fibromyalgie suchen (Info bei Mag. K. Gernesch-Hadhri:  01 / 801 82 – 1184).

Wann drohen chronische Rückenschmerzen?
Wenn Sie länger als vier bis sechs Wochen nichts dagegen unternehmen oder eine bisher erfolglose Therapie nach dieser Zeit nicht beenden. Nur wenn Sie rechtzeitig mit ihrem Arzt auf eine wirksame Therapie umsteigen, können Sie eine Chronifizierung vermeiden.

Wie kann man vorbeugen?
Unsere Bandscheiben zum Beispiel benötigen den regelmäßigen Wechsel von Be- und Entlastung, wie er etwa beim Gehen gewährleistet ist. 15 bis 20 Minuten täglich sind eine gute Grundlage. Sitzen hingegen belastet nur. Rauchen verengt die Gefäße und verschlechtert den Stoffwechsel der Bandscheiben – das kann zu ihrem frühzeitigen Abbau führen.

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