Information Die Anzahl der Keuchhustenfälle hat in den USA drastisch zugenommen. Schuld daran soll der neue Impfstoff sein. Der ist zwar besser verträglich, aber auch weniger wirksam als sein Vorgänger.

Geimpft und trotzdem erkrankt – das ist zumindest bei Keuchhusten keine Ausnahme mehr. Besonders in den USA wird zurzeit gehustet und gekeucht, auch bei den Geimpften.

Das Center for Disease Control and Prevention (CDC) rechnet mit 50.000 Erkrankungsfällen für das vergangene Jahr, die endgültige Auswertung fehlt derzeit aber noch. Damit wäre die Verbreitung von Keuchhusten auf einem erneutem Rekordhoch. Mehr Fälle habe es zum letzten Mal im Jahr 1955 gegeben – und da waren noch weitaus weniger Menschen geimpft, heißt es.

Fieberhafte Suche

Fieberhaft versuchen Forscher nun, eine Erklärung für die Unzuverlässigkeit der Impfung zu finden. Als heiße Spur gilt der Wechsel des Impfstoffgemisches: Seit den 90er-Jahren wird ein neuer Impfstoff verwendet, bei dem Nebenwirkungen seltener Auftreten.

In einem aktuellen Artikel des US-amerikanischen Fachmagazins "Science" geht Impfexperte Arthur Allen der Kontroverse auf den Grund und erklärt, wieso weniger Nebenwirkungen ein höheres Erkrankungsrisiko bedeuten könnten.

Spezifische Immunantwort

Die aktuelle Keuchhusten-Impfung funktioniert vom Prinzip her wie viele andere Impfungen auch: Bruchstücke des Stäbchenbakteriums "Bordetella pertussis" werden via Injektionsnadel in den Muskel hineingespritzt.

Der Rest bleibt dem Körper selbst überlassen: Dessen Immunsystem muss die fremden Erregerreste erkennen und anschließend passende Waffen dagegen schmieden. Ähnlich wie ein Schlüssel nur in ein bestimmtes Schloss passt, können die dabei entstehenden Antikörper nur an die vorliegenden Bruchstücke andocken.

Sollte es der Erreger dann noch einmal wagen, in den Körper eines Geimpften einzudringen, stehen genau diese spezifischen Antikörper bereit: Sie docken an die bereits bekannten Stellen an, machen sie unschädlich und locken Fress- und Killerzellen an. Noch bevor sich die Bakterien vermehren können, werden sie so effektiv beseitigt. Der Geimpfte merkt davon nichts und bleibt gesund.

Bakteriengift aus der Zellwand

Der ursprüngliche Keuchhusten-Impfstoff funktionierte im Grunde nach demselben Prinzip. Doch statt Bruchstücke zu verwenden, spritzten Ärzte bis in die späten 90er-Jahre ganze, aber zuvor abgetötete Bakterien.

Die Erreger waren nicht mehr vermehrungsfähig, enthielten aber immer noch Krankheitspotenzial: Denn ein besonderer Bestandteil des Bakteriums, das sogenannte Endotoxin, versetzt das Immunsystem in Aufruhr.

Dieses Bakteriengift ist in der Zellwand des Erregers enthalten und löst die Freisetzung großer Mengen von Entzündungsstoffen aus. Das kann zu hohem Fieber oder Schmerzen an der Einstichstelle führen. Der alte Keuchhusten-Impfstoff galt deshalb schnell als schlecht verträglich. Zunehmend weniger Eltern waren bereit, ihre Kinder damit impfen zu lassen.

Keine Lappalie

Eine neue Lösung musste her. Denn Keuchhusten ist für Babys und Kleinkinder keine Lappalie. Besonders im ersten Lebensjahr schwächt die Infektion den kleinen Körper sehr, so dass dieser sich häufig eine gefährliche Zweitinfektion einfängt.

Die führt dann beispielsweise zu einer Lungen- oder Mittelohrentzündung, die häufig im Krankenhaus behandelt werden muss. Und manchmal kann der Keuchhusten sogar tödlich enden: Das CDC verzeichnet für das vergangene Jahr 18 Todesfälle infolge einer Infektion mit dem Stäbchenbakterium.

Impfstoff mit Bruchstücken

Die Lösung war ein Impfstoff mit Bakterienbruchstücken. Darin nicht enthalten: Das krank machende Endotoxin. Dafür packten die Entwickler eine Handvoll Antigene in den Impfstoff – also solche Strukturen, gegen die spezifische Antikörper gebildet werden können.

Gezielt wählten sie solche Bruchstücke aus, auf denen sich vielversprechende Ziel-Antigene befanden. Je nach Zusammensetzung enthält der neue Impfstoff ein bis vier unterschiedliche Zielstrukturen für das Immunsystem.

Tatsächlich schien das Problem damit gelöst. Auch der neue Impfstoff erzeugte zunächst eine zufriedenstellende Immunantwort. Der Bluttest zeigte: Nach der Impfung mit den Bakterienbruchteilen bildete der Körper mindestens genauso viele Antikörper wie nach der Impfung mit dem alten Impfstoff, manchmal sogar noch ein paar mehr. Gleichzeitig stieg die Verträglichkeit. Fieber und Schmerzen wurden nur noch selten beobachtet.

Wenig effektiv

Die Menge an Antikörpern sagt aber offensichtlich nichts über die Effektivität aus. Der Schutz der neuen Impfung nimmt schnell ab, das haben Wissenschaftler um Thomas Clark vom CDC im vergangenen Jahr wieder einmal zeigen können.

Genau aus diesem Grund wird die Keuchhustenimpfung bei Babys viermal verabreicht und im Kindesalter noch einmal aufgefrischt – so lauten auch die aktuellen Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (Stiko) des Robert-Koch-Instituts (RKI) für Deutschland.

Kein lebenslanger Impfschutz

Doch auch die fünf Pikse bieten noch keinen lebenslangen Impfschutz. Deswegen wird auch im Erwachsenenalter eine Auffrischimpfung fällig. "Seit 2009 empfiehlt die Stiko, auch bei Erwachsenen die Pertussis-Immunisierung zusammen mit der nächsten Tetanus- und Diphtherie-Impfung aufzufrischen", sagt der RKI-Impfexperte Gerhard Falkenhorst.

Warum die neue Impfung aber schlechter als die alte wirkt, konnte bisher noch nicht geklärt werden. Schließlich werden nachweislich bei beiden Immunisierungen Antikörper in eigentlich hinreichender Anzahl gebildet. Doch möglicherweise ist nicht nur die Anzahl, sondern auch die Art der Antikörper entscheidend.

Veränderte Strukturen

So lautet eine Theorie, dass die Pertussis-Bakterien ihre Oberflächenstrukturen so verändert haben, dass die via Impfung gelernte Immunantwort des Körpers nicht mehr effektiv ist: Der Schlüssel passt sozusagen nicht mehr in sein Schloss.

In den USA, Frankreich und Australien hat man bereits Bakterienstämme gefunden, die eine Zielstruktur für die Antikörper – das so genannte Pertactin – gar nicht mehr ausbilden. Die spezifisch dafür bereit stehenden Antikörper wären damit wirkungslos und die anderen reichen möglicherweise allein nicht aus, um den Erreger effektiv zu bekämpfen.

Gewappnet gegen Mutationen

Gegen solche Mutationen wäre derjenige, der mit dem alten Mittel geimpft worden ist, besser gewappnet. Ihm stehen nicht nur ein bis vier unterschiedliche Arten von Antikörpern zur Verfügung, sondern wahrscheinlich deutlich mehr. Denn das ganze Bakterium enthält mehr als ein Dutzend Antigene, gegen das Immunsystem Antikörper ausbilden kann. Fällt eine Antikörperklasse wegen einer Mutation des Bakteriums aus, fiele das weniger ins Gewicht.

Andere Theorien besagen, dass das Endotoxin möglicherweise zwei Seiten haben könnte: Demnach wäre es zwar für die höhere Wahrscheinlichkeit an Nebenwirkungen verantwortlich – würde aber gleichsam eine besonders effektive Immunantwort auslösen.

Indem man das Toxin aus dem Impfstoff entfernt, würde man so gleichsam dessen Wirksamkeit mindern. Bisher konnte aber weder die eine noch die andere Theorie endgültig bestätigt werden.

Häufigkeit noch unklar

Ebenso wenig weißt man bisher, inwieweit der neue Impfstoff die Krankheitsfälle auch in Deutschland in die Höhe treibt. Eine generelle Meldepflicht für Keuchhusten wurde hier erst in diesem Jahr eingeführt. Hinzu kommt, dass gerade bei Erwachsenen der Keuchhusten gar nicht erkannt wird.

"Die Erkrankung verläuft bei gesunden Erwachsenen oft milde, so dass diese gar nicht erst einen Arzt aufsuchen. Und auch der erkennt die Erkrankung nicht immer", sagt Falkenhorst. Zusätzlich hätten sich die diagnostischen Methoden in den vergangenen Jahren so verbessert, dass eine Infektion heutzutage besser als noch vor ein paar Jahren nachgewiesen werden könne. "Auch dies könnte eine Rolle spielen, wenn zunehmend mehr Krankheitsfälle registriert werden."

Weder der milde Verlauf im Erwachsenenalter noch die schwächere Wirksamkeit sollten aber dazu verleiten, die Nachimpfung zu unterlassen. Denn auch wer selbst kaum unter der Krankheit leidet, kann Kleinkinder infizieren. Und die sind infolge des neuen Impfstoffs vielleicht noch gefährdeter als zuvor. Quelle User: Eskin // welt.de